Collage Erstwähler (v.l.n.r.): Laura, David, Gerard.(Quelle:rbb/Dähler)

Brandenburg Berlin Wahl ab 16: So denken junge europäische Erstwählende über die EU

Stand: 21.05.2024 15:47 Uhr

Die Plakate sind nicht zu übersehen: Am 9. Juni ist Europawahl. Wählen gehen dürfen in Deutschland erstmals auch 16-Jährige. rbb|24 hat mit acht Erstwählenden aus verschiedenen Regionen Europas gesprochen, die in Berlin und Brandenburg leben.

Wie geht es jungen Menschen in Berlin und Brandenburg, die bei den Wahlen zum EU-Parlament am 9. Juni zum ersten Mal wählen gehen? Das gilt auch für EU-Bürger:innen in der Region, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Was erwarten sie von der Europäischen Union und womit hadern sie? Wir haben Menschen gefragt, in deren Leben die EU allein deswegen eine Rolle spielt, weil sie aus anderen Ländern nach Berlin und Brandenburg gezogen sind - und mit einem gebürtigen Brandenburger.

Ion Focşa, 19 und Laurentia Vărzaru, 18

Ion: Wir sind beide in Moldawien (offiziell: Republik Moldau, Anm. d. Red.) aufgewachsen. Moldawien ist nicht in der EU. Wir haben aber einen rumänischen Pass, weil wir einer rumänischen Minderheit angehören. Erst sind unsere Väter aus Moldawien zum Arbeiten hierher gezogen, die Familie ist ungefähr ein Jahr später gefolgt. Das war bei uns beiden ähnlich und ging dann alles ziemlich schnell. Wir haben uns in der Willkommensklasse kennengelernt. Bald machen wir unser Abitur, nebenbei arbeiten wir bei einer Vermögensberatung.
 
Laurentia: Berlin ist mein Zuhause, weil hier meine Familie ist. Dass ich hier leben kann, ist großartig. Ich kann mir auch vorstellen, in einem anderen EU-Land zu studieren. Natürlich kann man auch in Moldawien studieren. Das Problem ist dann aber die Anerkennung der Zeugnisse hier in der EU.
 
Moldawien, Rumänien und nun auch Deutschland sind unser Zuhause. Wenn wir aber sagen, woher wir kommen, haben Menschen oft ein negatives Bild.

Ion: Ich habe oft Vorurteile erlebt, ich werde als Ausländer wahrgenommen. Früher hat es sehr weh getan. Jetzt kann ich damit umgehen. Ich beherrsche die Sprache, kenne meine Rechte und Pflichten und kann für mich einstehen. Die Menschen sollten offener sein und alles aus mehreren Perspektiven betrachten. Europa in einem Wort? Das ist für mich "Posibilitat", die vielen Möglichkeiten.
 
Laurentia: Es ist ein großes Privileg, EU-Bürgerin zu sein. Aber es mangelt an Austausch. In der Europäischen Union sind wir mehrere hundert Millionen Menschen, haben 24 Amtssprachen und Dialekte. Wir müssen uns besser kennenlernen und lernen, zusammenzuleben. Europa bedeutet für mich "Libertate", die Freiheit, hier zu leben, zu studieren, zu reisen.

Emma Le Helley, 18

Ich studiere in Bordeaux und bin gerade für mein Auslandsjahr an der Universität Potsdam, wohne aber in Berlin. Mit meinem Umzug nach Deutschland habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie präsent die EU in meinem Alltag ist. Es hat alles einfacher gemacht. Ich konnte mich um ein Stipendium bewerben, zu Ärzten gehen, ich bin allein in diesem fremden Land und fühle mich trotzdem sicher.
 
Wie viele junge Europäer:innen dachte ich lange, dass die Europäische Union eine sehr komplexe, bürokratische Institution ist. Durch mein Politikstudium habe ich natürlich mehr über die EU gelernt. Ich denke, dass wir gerade jetzt mit all den Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, gar keine andere Möglichkeit haben, als gemeinsam eine Antwort auf diese Herausforderungen zu finden. Und die Europäische Union ist da ein guter Weg.

Ich sage nicht, dass die EU perfekt ist, aber wir müssen das, was nicht gut läuft, erkennen und versuchen, es zu verbessern. Wir brauchen auch mehr Transparenz. Rechtsradikale Parteien verbreiten Ideen, die sehr verführerisch wirken auf junge Menschen. Wir sollten genau hinhören, warum junge Menschen diese Parteien wählen wollen, um dem entgegenzuwirken. Viele Menschen sehen nur, was wir verlieren, wenn wir in der EU sind. Wir haben da aber wirklich was zu gewinnen.
 
Wenn ich in einem Wort beschreiben müsste, was Europa für mich bedeutet, dann wäre das "Espoir", die Hoffnung. Denn ich glaube daran, dass die EU als etwas gegründet wurde, das Hoffnung spenden soll, und dass das heute immer noch relevant ist.

David Dénes, 16

Ich bin vor sechs Jahren - in der vierten Klasse - aus Budapest nach Berlin gekommen, mein Vater hatte ein gutes Jobangebot. Der Anfang hier war schwer für mich. Ich hatte das Gefühl, dass ich alle meine Freunde verloren hatte und dass ich hier keinen kenne, ich konnte die Sprache nicht. Aber mit der Zeit habe ich mich akklimatisieren können.
 
Politik ist in meiner Familie ein wichtiges Thema. Mein Vater ist auch wegen der politischen Situation in Ungarn nach Deutschland gekommen.
 
Ich denke, es ist sehr wichtig, sich zu informieren, wen man wählen möchte. Ich finde es nicht gut, wenn man etwas wählt, wovon man nur von Nachbarn oder Freunden gehört hat. Man sollte sich mit den Wahlprogrammen auseinandersetzen.

Ich finde, es sollte mehr wertgeschätzt werden, wie viel die EU uns weiterhilft, wie viel freier sie uns macht. Wie viel leichter Sachen durch die EU sind, wie Reisen, Umzüge und so weiter. Ich denke, die Leben von ganz vielen Menschen in Ungarn sind dadurch leichter geworden. Ich fühle mich privilegiert.
 
Wenn ich die Bedeutung der EU für mich in einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das "lehetöségek". Das heißt "Möglichkeiten". Denn dank der EU darf ich hier sein. Ich bin glücklich, dass ich meine Meinung sagen darf.

Alan Aleksander Glapa, 18

Ich bin mit sieben Jahren nach Deutschland gekommen. Das war die Entscheidung meiner Eltern, weil aus ihrer Sicht die Zukunft hier in Deutschland besser ist für junge Menschen. Deutschland ist mein Zuhause. Ich habe meine Pubertät, meine Jugend hier verbracht, und ich habe meine Freunde hier.
 
Meine Onkel, Tanten, Oma und Opa leben noch in Polen. Ich besuche sie einmal im Monat.

Die EU bedeutet für mich die Freiheit, dass ich meine Familie besuchen kann ohne, dass es Probleme an der Grenze gibt. In einer Stunde bin ich in Polen.
 
Manche in meinem Umfeld kritisieren die EU, gerade, was die Flüchtlinge betrifft. Ich denke aber: In jedem Land gibt es Leute, die einem mehr oder weniger gefallen. Man muss sie meiner Meinung nach so akzeptieren und sollte sie nicht ausgrenzen. Als ich hierher kam, wurde ich auch nicht ausgegrenzt – deswegen stehe ich jetzt hier.

Symbolbild: Das Europaparlament von außen mit Flaggen einiger Mitgliedsstaaten in Brüssel am 06.09.2023.(Quelle: dpa/Thomas Banneyer)
Europawahl 2024 in Berlin und Brandenburg

Die nächste Wahl zum Europäischen Parlament findet in Deutschland am 9. Juni 2024 statt. In Berlin und Brandenburg dürfen Menschen ab 16 Jahre an der Europawahl teilnehmen, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder Bürgerinnen und Bürger aus Ländern der Europäischen Union sind.mehr

Das Beste, was man für Europa tun kann, ist Akzeptanz. Wenn Menschen hierherkommen, sollte man deren Kultur akzeptieren. Aber diejenigen, die zu uns kommen, sollten auch die Kultur in Deutschland akzeptieren. Wir haben nur eine Erde, wir müssen alle zusammen klarkommen.
 
Ich würde mich freuen, wenn die EU-Familie noch größer wird, damit man noch entspannter in andere Länder reisen kann. Ich finde es immer schön, wenn ich Menschen aus anderen Kulturen kennenlerne.
 
Für mich steht das Wort "Wolność" für Europa. Das bedeutet "Freiheit" auf Polnisch.

Justin Löffler, 20

Ich komme aus Brandenburg und mir ist die EU-Wahl mit Blick auf meine Zukunft sehr wichtig. Mich treibt die Frage um, wie in Zukunft mit dem Krieg in der Ukraine umgegangen wird. Wichtig ist mir aber auch die wirtschaftliche und soziale Situation in der EU.
 
Ich wünsche mir von der EU, dass die Reisefreiheit bestehen bleibt. Also dass man nicht für jedes Land ein Visum beantragen muss.
 
Das Wort, das ich mit Europa verbinde, ist Sicherheit: Sicherheit ist für uns wichtig, damit wir uns im Katastrophenfall oder im Kriegsfall alle zusammen als Union, als Staatengemeinschaft verteidigen können.

In meinem Freundeskreis wissen viele Bescheid, dass demnächst das EU-Parlament gewählt wird, aber sie interessieren sich nicht großartig für Politik. Es bräuchte mehr Informationen. Viele wissen nicht, wie man wählen kann oder wie ein Parteiprogramm aussieht.
 
Was ich mir wünsche, sind regelmäßige Infoveranstaltungen zum Thema Europa und auch zum Thema Kommunalpolitik. Was will die Kommunalpolitik tun, um mit Europa zusammen agieren zu können. Wenn es bessere politische Strukturen hier in Fürstenwalde (Oder-Spree) geben würde, dann hätten die Leute auch ein besseres politisches Grundverständnis, anstatt der Politik nur ablehnend gegenüberzutreten.

Gerard Rubino, 23

Ich habe immer in Spanien gelebt und war auch zum Studieren nicht im Ausland. Daher war es eine große Überraschung, wie einfach es für mich im Vergleich zu meinen Kollegen oder Freunden ist, nach Berlin zu ziehen. Ich habe zum Beispiel Freunde aus dem Senegal, die ein Visum und eine Arbeitserlaubnis beantragen und sich ihren Abschluss bestätigen lassen müssen. Das ist ein langer Prozess. Ich bin vor zwei Jahren einfach so aus Barcelona nach Berlin gekommen und arbeite als Programmierer. Bei der letzten Europawahl 2019 war ich gerade 18 geworden und hätte tatsächlich schon wählen können, habe es aber schlichtweg nicht mitbekommen. Dieses Mal wähle ich mit.
 
Dass die EU mit dem weltweit ersten KI-Gesetz vorlegt, freut mich sehr. Künstliche Intelligenz wird jeden Teil der Gesellschaft durchdringen. Die EU sollte die Unternehmen kontrollieren, besonders die großen Tech-Unternehmen, die von außen kommen. Europa sollte da stärker werden und eine Rechtsprechung schaffen, die die Rahmenbedingungen für diesen Markt setzt.
 
Das Wort, das für mich die EU am besten beschreibt, ist "Unitat", also "Einheit". Es steckt ja sogar im Namen drin. Ich würde sagen, es vereint alle, weil wir alle die gleichen Interessen haben, und zum Teil auch dieselbe Kultur teilen. Das ist es, was die EU am besten beschreibt.

Gesprächsprotokolle: Christina Rubarth, Jonas Wintermantel, Helena Daehler, Jenny Barke, Yasser Speck

Sendung: rbb24 Abendschau, 20.05.2024, 19:30