Die Bewohner und Bewohnerinnen der Seniorenresidenz Erbach blicken aus ihren Wohnungen direkt auf den Bahnhof.

Sie stehen nachts stundenlang herum - zischen, qualmen und lassen die Motoren aufheulen: Parkende Dieselzüge reißen seit Jahren Anwohner am Erbacher Bahnhof aus dem Schlaf. Den Behörden ist das Problem bekannt, darum kümmern mag sich aber niemand.

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Schlaflos in Erbach – Streit um parkende Dieselzüge

Dieselzug
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Erbach ist ein kleines Städtchen mitten im Odenwald, umgeben von Wald und Natur. Ein idyllischer Platz zum Ausspannen fernab von Hektik und Großstadtlärm – möchte man meinen. Doch regelmäßig schreckt Heiderose Bläske mitten in der Nacht aus dem Schlaf, ihr Herz rast, einschlafen kann sie nicht mehr. Und das nun schon seit sieben Jahren. "Ich erschrecke mich jedesmal fast zu Tode", klagt die Bewohnerin einer Seniorenresidenz.

Es ist der Lärm des nur wenige Meter entfernten Bahnhofs, der die 72-Jährige um ihre Nachtruhe bringt. Nicht etwa die Geräusche der fahrenden Züge, die stören sie nicht. Es sind die stillstehenden Bahnen, die ihr Kummer bereiten. Denn schon ab drei Uhr morgens startet das Bahnunternehmen Vias seine parkenden Dieselzüge und lässt sie teils stundenlang laufen. Nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner der Residenz klagen deswegen über unzumutbare Lärm- und Geruchsbelästigung, wie bereits das Odenwälder Echo berichtete.

Heulende Motoren, lautes Zischen und Gestank

"Manchmal stehen hier sieben oder acht Züge, die alle um drei Uhr morgens angemacht werden", beschreibt Residenz-Mitarbeiterin Sylvia Schurig dem hr die Situation. Manche Züge würden über mehrere Stunden laufen, bevor sie dann im Berufsverkehr zum Einsatz kommen.

Das läuft dann so: Gegen drei Uhr kommt ein Mitarbeiter der Vias, wirft einen Zug nach dem anderen an und testet sie auf ihre Einsatzbereitschaft. Dabei heulen in regelmäßigen Abständen die Motoren auf, auch das zischende Geräusch von sich öffnenden und schließenden Türen ist zu hören.

Die Motoren brummen, die Abgase steigen in die Luft: Bereits ab drei Uhr morgens werden am Erbacher Bahnhof die Dielszüge angeworfen.

"Das ist ein ganz ekliges Geräusch", sagt Seniorin Bläske. Residenz-Bewohner Rainer Pfeiffer kann bei dem Lärm ebenfalls nicht schlafen: "Wenn die loslegen, stehe ich senkrecht im Bett", sagt der 77-Jährige. Hinzu kommt der Gestank durch die Abgase. "Es stinkt ganz entsetzlich nach Diesel", beschreibt Bläske. Selbst bei geschlossenen Fenstern sei der Geruch noch deutlich wahrzunehmen. "Muss das denn sein?", fragt sie.

Vias: Vorlaufzeiten sind notwendig

Ja, das muss sein, sagt die Vias. "Die Vorlaufzeiten sind in ihrer aktuellen Form notwendig, um die Züge auf der Odenwaldbahn abfahrbereit zu machen", teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Laut Fahrplan fährt der erste Zug in Erbach um 4.24 Uhr. Das sogenannte "Aufrüsten" sei auch für die Sicherheit notwendig. "Wir müssen etwa die Druckluftversorgung für die Bremsanlage gewährleisten." Das erfolge über Kompressoren, die durch die Dieselmotoren betrieben werden.

Aus Rücksicht auf die Anwohner versuche die Vias aber, diese Vorlaufzeiten "so kurz wie möglich" zu halten.

An diesem Morgen steht allerdings einer der Züge, der um drei Uhr angemacht wurde, sechs Stunden später noch dort, ohne sich auch nur einen Meter bewegt zu haben. "Hier wird stundenlang Diesel in die Luft geblasen, das ist ja auch schädlich für die Umwelt", merkt Residenz-Mitarbeiterin Schurig an.

Bahn kann Ärger nicht verstehen

In ihrer Stellungnahme weist die Vias darauf hin, dem Betreiber sei beim Bau der Seniorenresidenz die unmittelbare Nähe zum Bahnhof bereits bewusst gewesen. "Die betrieblichen Abläufe identisch zur heutigen Situation" seien bekannt gewesen, die Beschwerden in ihrer Form deswegen nicht nachvollziehbar.

Angesprochener Residenz-Eigentümer Lothar Mertens sieht das andres. "Wir haben nichts gegen den Bahnhof, sind sogar froh, dass wir ihn haben", sagt er. In den letzten Jahren hätten sich allerdings die Begleitumstände geändert: "Plötzlich wurden hier nachts die Züge angeschmissen." Das sei bei Baubeginn 2009 noch nicht so gewesen. "Das betrifft ja auch nicht nur uns, sondern auch die anderen Wohnhäuser, die hier teilweise schon seit 60 Jahren stehen", so Mertens.

Problem besteht seit sieben Jahren

Das Problem mit Lärm und Gestank ist tatsächlich nicht neu. "Vor etwa sieben Jahren hat das angefangen", erinnert sich Residenz-Mitarbeiterin Schurig. Vor einigen Jahren wurden am Erbacher Bahnhof zudem Ladestationen installiert, an denen die Züge auf ihren täglichen Betrieb vorbereitet werden. "Seitdem hat es noch einmal zugenommen."

In einem Lärmgutachten aus dem Jahr 2021, das Mertens nach eigenen Angaben selbst in Auftrag gegeben hat, heißt es demnach, der nächtliche Lärm sei nicht mit der Wohnsituation rund um den Bahnhof vereinbar. Die Vias sagt, ein solches Gutachten läge ihr nicht vor. Auch im Landratsamt hat man von einem solchen Gutachten keine Kenntnis.

Zuständigkeiten ungeklärt, Behörden drehen sich im Kreis

Seit mehreren Jahren beschäftigen sich auch Politik und Behörden mit der Problematik, passiert ist allerdings nichts. "Es gab bereits im Dezember 2017 eine entsprechende Mitteilung", schreibt der Odenwaldkreis auf eine aktuelle Anfrage des hr.

Der Kreis in Form der Unteren Immissionsschutzbehörde habe den Vorfall daraufhin an das Regierungspräsidium Darmstadt weitergeleitet, von dort aus gelangte er Anfang 2018 zum Eisenbahnbundesamt. Das fühlte sich aber ebenso nicht zuständig und leitete den Vorfall wenige Monate später an den Odenwaldkreis zurück.

"Nachdem es nun noch einmal Beschwerden gab, befindet sich die Sachlage einschließlich der Frage der Zuständigkeit gerade auf unser Betreiben hin in der Klärung", steht in der aktuellen Antwort des Kreises. Das heißt: In den vergangenen sechs Jahren ist nichts passiert.

Wieder ganz am Anfang

Ob der neue Anlauf eine baldige Klärung bringen wird, darf zumindest bezweifelt werden. "Unsere Auffassung, dass die Untere Immissionsschutzbehörde hierfür nicht zuständig ist, hat sich nicht geändert", teilt der Kreis mit. Die Zuständigkeiten sind also weiterhin ungeklärt, man steht praktisch wieder am Anfang.

Dabei sehnen sich die Seniorinnen und Senioren in der Erbacher Residenz nur nach einem ruhigen und angenehmen Lebensabend. "Ich will einfach in Ruhe schlafen", sagt Bewohner Pfeiffer. Allein die Hoffnung hat er bereits aufgegeben.

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